Kunst und Widerstand im Wechselspiel
Haben Kunst und Kultur der Neuen Rechten etwas entgegenzusetzen? Wie können sie agieren und reagieren, ohne sich von rechts vereinnahmen zu lassen? Bei der vierten „Texte, Sounds, Diskurse“-Veranstaltung widmen sich die Teilnehmenden den wichtigen Fragen unserer Zeit.
Das Wechselspiel und die Gleichzeitigkeit von Kunst, Politik und politischer Kunst soll untersucht werden, so Alexander Gumz, Kurator des KOOKread-Abends „Auf Widerstand gebürstet. Kunst kontra rechts“. Mit viel Energie geht es los: Eingeleitet wird die Veranstaltung von der Musikerin Bernadette la Hengst, die „Jetzt werde ich alle auf Widerstand bürsten!“ ins Mikro ruft, ihre Jacke auf den Boden schleudert und mit dem Song „Wir sind die Vielen“ losrockt.
Für den theoretischen Teil sorgt der Historiker Volker Weiß, der zur extremen Rechten in Deutschland forscht. „Ich nenne meinen Vortrag: Die Genese des nationalistischen Kulturbegriffs seit dem 19. Jahrhundert in zehn Minuten“, sagt er und stellt die Stoppuhr auf seinem Smartphone. Zentral für den nationalistischen Kulturbegriff sei, das Volk als Kollektivsubjekt zu erachten, dessen Anlage von jedem einzelnen geteilt werde, so Weiß. Der völkisch-nationale Kulturbegriff werde heute mit „ethnokulturell“ umschrieben, aus einem ganz einfachen Grund: „Keiner will mehr ‚Rasse‘ sagen.“ Übrigens, daran erinnert Weiß auch, keine genuin deutsche Marotte: In der Türkei, Ungarn oder Frankreich etwa gibt es vergleichbare Bewegungen.
Wesentlich für das deutsche Denken ist die Dichotomie von Kultur und Zivilisation. Vor allem im Ersten Weltkrieg bestimmte dies die Mentalität: Die deutsche Kultur wurde als Gegenkonzept zur westlichen/romanischen Zivilisation erachtet. Der Historiker verweist auf den nationalistischen Philosophen Oswald Spengler und dessen Zyklentheorie in seinem zwischen 1918 und 1922 veröffentlichten Werk „Der Untergang des Abendlandes“, die die Zivilisation zwar als Höhe-, aber auch als Schlusspunkt definiert, als letztes Stadium der kulturellen Entwicklung. Die deutsche Kultur, so Spengler, löse vorherige wie die Antike, die aztekische oder chinesische Kultur ab, um für 1000 Jahre zu regieren, bevor sie selbst untergehen würde. Volker Weiß nennt auch den Begriff „Kulturmarxismus“, den unter anderem Anders Breivik als Begründung für sein Attentat verwendete, und erläutert, dass er als Feindbestimmung der Frankfurter Schule verwendet wurde, deren Hauptvertreter jüdisch sind – womit er ein direktes Erbe des NS-Schlagworts „Kulturbolschewismus“ ist.
Nach diesem Kurzvortrag betritt Sandra Gugićdie Bühne. Die Lyrikerin und Autorin ist Gründungsmitglied des Kollektiv Nazis & Goldmund, das gegen den Rechtsruck anschrieb und aus dem im vergangenen Jahr die Konferenz „Ängst is now a Weltanschaung“ entsprang. Sie liest aus ihrem Lyrikband „protokolle der gegenwart“, in dem sie sich mit den wichtigsten Diskursen unserer Zeit auseinandersetzt. Vielstimmig, wie sie im kurzen Gespräch danach betont, denn: „Fremdtöne interessieren mich.“ Das geschieht mithilfe der Öffnung von Reimen und mit Auslassungen, um keine Feststellung zu treffen. „Die Wahrheit wird nicht mitgebetet“, so Gugić.
Dann ist die Bühne wieder frei für Bernadette la Hengst, die an den Erfolg der Demo #AfDWegbassen im Mai 2018 erinnert, bei der 70.000 Menschen auf die Straße gingen und alleine in dem von ihr organisierten Bündnis, bei dem sich mehrere Kulturinstitutionen zusammengeschlossen hatten, 20.000 mitliefen. Sie bittet Nick Nuttall auf die Bühne, mit dem sie das viersprachige „I Am Art“ und „Wem gehört die Parkbank“ singt, ebenfalls ein Protestsong, der das Abmontieren von Parkbänken in Freiburg, die teilweise von Obdachlosen als Schlafplatz verwendet wurden, thematisiert.
Nach der Pause liest Autorin, Lyrikerin und Herausgeberin Özlem Özgül Dündareinen Ausschnitt ihres Theaterstücks, das wenige Tage zuvor in Marburg Premiere feierte, und den sie mal „Türke, Feuer“ oder „Und ich brenne“ nennt. Dieser Text handelt von einem Brandanschlag und besteht aus mehreren nummerierten Monologen von Müttern, von denen eine stirbt, eine weitere sich schuldig fühlt, weil sie überlebt, und eine dritte ihren Sohn verteidigt, der mutmaßlich der Attentäter ist. „Ich wollte schon lange über dieses Thema schreiben, wusste aber nicht, wie“, sagt die gebürtige Solingerin nach ihrer Lesung. „Ich bin 2014 nach Leipzig gezogen. Mit den Legida-Demos kamen meine Erinnerungen wieder hoch, und endlich waren die Figuren und ihr Sprechen da.“ Solingen sei zwar der Anlass gewesen, wird namentlich aber nicht erwähnt; der Text habe keinen dokumentarischen Anspruch. Deswegen auch die vielen Perspektiven: „Mich interessierte, wie die Wirklichkeit geformt wird.“
In der anschließenden Diskussionmit allen Teilnehmer*innen hakt Alexander Gumz zunächst bei Volker Weiß nach, welche Angriffe von der AfD gegen Bildungseinrichtungen zu erwarten seien. „Das wird leise vonstattengehen“, sagt dieser, auf Verwaltungswegen, um durch Subventionen aktiv Kultur zu fördern (mit der kürzlich gegründeten Parteistiftung) oder zu verhindern. Er nennt ein Beispiel aus seiner Heimatstadt. An einer Hamburger Stadtteilschule wurde im Rahmen eines Unterrichtsprojekts über Antifa-Aufkleber diskutiert, und dies später samt Fotodokumentation auf dem AfD-Meldeportal denunziert. Die Schule aber knickte nicht ein und reagierte cool: „Antifaschismus ist unser Erziehungsziel“, zitiert Volker Weiß mit Freude.
Stichwort Subventionen: Özlem Özgül Dündar erzählt, dass sie nach dem Erfolg der AfD bei den Landtagswahlen ihren Antrag für ein Projekt in Sachsen, in dessen Rahmen sie mit einer Freundin Lesungen gegen Rassismus und Sexismus organisieren möchte, umgeschrieben habe. „Das Denken wird dadurch beeinflusst.“ Und auch Bernadette la Hengst kennt sich mit Sachsen aus: Ein Jahr lang erforschte sie die Idee des Bauhauses in Weißwasser in der Oberlausitz, bei der sich 100 Menschen beteiligten, Senior*innen wie Kinder und Rückkehrer*innen.
Volker Weiß wird schließlich vom Publikum gebeten, genauer zu erläutern, warum Kultur und Zivilisation in den Augen der Rechten in einem Widerspruch stehen. Weiß erklärt, dass dieses Denken seinen Höhepunkt im Kaiserreich hatte und den Deutschen als überhistorisch existierenden, organischen und innerlichen Menschen erachtete, der im Gegensatz zum romanischen Zivilisationsmenschen, konkret gegen die Errungenschaften der Französischen Revolution, steht: Demokratie, Republik und Freiheit werden als dekadent angesehen.
Ein weiterer Publikumsbeitrag zitiert Reden vom Berliner Poesiefestival, bei denen Lyrik als sensibel und von ihrem Selbstverständnis her gegen rechts dargestellt wurde und argumentiert dagegen: Die AfD arbeite im Wahlkampf beispielsweise mit poetischen Mitteln. Lyrik als per se gegen rechts anzusehen sei eine „Bereitschaft zum Selbstbetrug“. Sandra Gugić widerspricht und sagt, Wahlslogans seien Werbung, Spracharbeit zwar, aber weit entfernt von der Poesie. Volker Weiß erinnert an nationalistische Lyrik und Lieder und sagt dann: „Die Lebenslüge der Bundesrepublik lautet entgegen aller historischen Tatsachen, dass sich die äußerste Rechte aus der ungebildeten Unterschicht zusammensetze. Was für ein Fehlschluss: Auch gebildete Menschen können unglaublich dumm sein.“ Auf die Publikumsfrage, ob sein Buch „Die autoritäre Revolte“ (2017) auf Gehör gestoßen sei, bleibt er bei einer eher nüchternen Einschätzung. „Meine Argumente prallen bei Leuten ab, die überzeugt sind.“ Er erzählt, dass ein Freund des neurechten Aktivisten Götz Kubitschek nach einer Veranstaltung zu ihm kam und sagte, auf der Sachebene möge Weiß recht haben, er würde das aber nicht fühlen. Weiß dazu: „Da war ich fertig.“
Zuletzt entspinnt sich eine Diskussion zwischen Autor*innen und Publikum, ob Bücher vom Antaios Verlag wie etwa „Finis Germania“ von Bibliotheken gekauft werden sollten, wodurch sie einerseits zwecks Recherche zur Verfügung stünden, andererseits aber eine öffentliche Subvention für derartige Verlage darstellten. Volker Weiß hat wieder das Wort: „Finis Germania“ stand ihm in der Hamburger Staatsbibliothek nur im Lesesaal zur Verfügung. Er beklagt, dass bei der Diskussion um das Buch unterging, wie „schwer antisemitisch“ der Titel und dass er nur durch einen Verfahrensbruch von Johannes Saltzwedel auf der Spiegel-Bestsellerliste gelandet ist. Auf einen weiteren Skandal, die Stokowski-Lehmkuhl-Auseinandersetzung, anspielend, sagt er: „Ich würde keine Veranstaltung absagen, weil die Buchhandlung Titel von Antaios führt. Schaut man in meinen Bücherschrank, findet man lauter Titel von der Neuen Rechten, weil das meine Quellen sind. Ich finde es aber vollkommen richtig, wenn das jemand für sich entscheidet.“
Am 22. Oktober geht „Texte, Sounds, Diskurse“ in die bereits fünfte Runde. Thema wird die menschengemachte Klimakatastrophesein. „FLUTEN. VERSCHWINDEN. Die Klimakrise schreiben“ lautet der Titel. Passend dazu singen Bernadette la Hengst und Nick Nuttall ein letztes Lied, das sie anlässlich der Weltklimakonferenz 2018 in Katowice schrieben: „I need air.“
Die Bloggerin und Journalistin Isabella Caldart berichtet in 2019 regelmäßig über unsere KOOKread-Veranstaltungen im ACUD-Studio.