Singen gegen Gentrifizierung
„Fuck Zukunft“ lautet die Ansage für die erste Veranstaltung der neuen KOOKread-Reihe „Texte, Sounds, Diskurse“. Die Gäste Jens Friebe, Andreas Spechtl und Christiane Rösinger können damit einiges anfangen. Ein Abend über Musik, Tod, Sprachen, Gentrifizierung und Hedonismus.
Suchte man nach einem Motto unserer Zeit, könnte es gut und gerne „Fuck Zukunft“ lauten – gleich ob als Imperativ und Trotzhaltung oder als Ausdruck ebenjener Angst, die die Freitagsdemonstrationen „Fridays for Future“ befeuert. „Fuck Zukunft“, so lautet auch der Auftakt der neuen KOOKread-Reihe „Texte, Sounds, Diskurse“, der „Versuch, mehr in einen Dialog zu treten“, wie Moderatorin Josepha Conrad, Gründerin und Sängerin der Band Susie Asado, ankündigt. Über dieses Thema und über „Schreiben am Rand der Utopie“, auch als Gegenteil von „Fuck Zukunft“ interpretierbar, diskutieren an einem kühlen Dienstagabend Christiane Rösinger, Jens Friebe und Andreas Spechtl im ACUD-Studio.
Vor besagtem Dialog stehen aber Einzelperformances. Jens Friebe stellt sich lässig mit kleinem Colafläschchen und MacBook auf die Bühne, warnt zu Beginn, er sei aufgrund von Knieschmerzen vollgepumpt mit Antibiotika, und freut sich über das Motto des Abends – „Fuck Future“ zeige die „morbide Seite“ seines Schaffens. Friebe singt und trägt einige seiner Songs vor („Liedtexte vorlesen kann auch ganz geil sein“, wie er weiß), darunter „What Will Death Be Like“ und „Die geheime Party“, dann springt er vom, O-Ton Friebe, „Komplex Tod“ zum „Komplex Sex“, und liest das 42. Wochenende aus seiner Kolumnensammlung „52 Wochenenden: Texte zum Durchmachen“, bei dem er über ein Pornofestival sinniert, bevor er diesen „kulturpessimistischen Text“ mit einem „kulturoptimistischen Lied“, namentlich „Fuck Penetration“, ausklingen lässt.
Auch Andreas Spechtl hat ein Buch zur Hand, das er beim Vorlesen übel malträtiert und um 360 Grad knickt. „Futur II“ ist die Autobiografie seiner Band Ja, Panik, die sich Ende 2005 gründete; im Jahr darauf begegneten sich Jens Friebe, Christiane Rösinger und Andreas Spechtl übrigens zum ersten Mal. Diese in Briefform, sprich E-Mails der Bandmitglieder, verfasste Autobiografie sei „auch ein Buch des Scheiterns“, sagt Spechtl trocken. Dann folgt eine kleine Premiere: Andreas Spechtls Beitrag zu den „Sounds“ ist nämlich das Lied „Pretty Views“ von seinem neuen Soloalbum „Strategies“.
Mit sehr viel Energie betritt nach der Pause Christiane Rösinger die Bühne. Zunächst liest sie aus ihrem Buch „Das schöne Leben“, 2008 erschienen, über das sie sagt: „Ich bin überrascht, wie positiv ich vor zehn Jahren geschrieben habe.“ Ihr zweites Buch, „Zukunft machen wir später. Meine Deutschstunden mit Geflüchteten“ leitet sie mit einer kleinen Erklärung ein. Sie habe darüber nachgedacht, was sie im „Frühherbst des Lebens“ machen wolle. Die Schlangen der Flüchtlinge vor dem LAGeSo im Sommer 2015 inspirierten sie dazu, Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten, eine Tätigkeit, der sie heute noch nachgeht, „inzwischen aber bezahlt“, wie Rösinger hinzufügt. Begleitet von Andreas Spechtl singt auch sie mehrere Lieder, darunter „Wer wird Millionär“ und „Sinnlos“.
Im Anschluss bittet Josepha Conrad die drei Künstler*innen zusammen auf die Bühne. Alle vier, dies sei am Rande erwähnt, lassen deutlich ihre schwarzen Socken blitzen. Ein Zufall, gewiss – oder doch eine angedeutete Ablehnung des Berliner Hipstertums, das weiße Tennis- oder bunte Motivsocken quasi vorschreibt? Immerhin geht es am heutigen Abend auch um die Gentrifizierung Berlins. Bevor sie sich der Utopie (Dystopie?) Großstadt zuwenden, sprechen Friebe, Rösinger, Spechtl mit Conrad über ihr künstlerisches Schaffen. Kunst, vor allem das Schreiben, sei für ihn, so Andreas Spechtl, eine Form der Kommunikation, wenn man sich sonst schwer ausdrücken könne; er selbst war „mit 17, 18 ein leicht gestörtes Kind im Burgenland“. Friebe stimmt ihm zu („Worüber man nicht reden kann, muss man singen“), während Rösinger das nüchterner sieht: „Es werden viele Mythen gesponnen ums Schreiben“, sagt sie, „ich sitze aber nicht mit einem Gänsekiel in der Kammer“. Es gebe nicht unbedingt einen Geniekult, (Song-)Texte zu schreiben habe oft viel pragmatischere Gründe.
Und warum schreiben alle drei nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch? Christiane Rösinger bleibt pragmatisch: „In meiner Jugendzeit wurden beide Sprachen gesprochen.“ Andreas Spechtl hat da eine philosophischere Perspektive. Esperanto habe nicht funktioniert und „Englisch ist das egalitärste, was die Menschheit hervorgebracht hat“. Dann wird er ebenfalls pragmatisch: „Mein letztes Album habe ich mit einem iranischen Freund aufgenommen. Es war logisch, eine Platte zu machen, die auch er versteht.“ Rösinger wirft ein, Englisch würde nicht mehr als Fremdsprache wahrgenommen, schließlich sei es die Sprache der „Popsongs, Werbung und dem Fashionscheiß“. Stimmt, sehr viele können Englisch – allerdings gibt es keine Sprache, die häufiger falsch als richtig ausgesprochen wird, wie Andreas Spechtl vermutet. Um gleich den nächsten künstlerischen Gedanken aufzuwerfen: „Es wäre interessant, aus diesem falschen Englisch Gedichte zu machen.“ Jens Friebe bezieht in seine Überlegungen die Übersetzung seines Songs „Fuck Pentration“ ein: „Auf Deutsch ist der Inhalt unmittelbarer. Wenn dieser aber ‚Fick Penetration‘ lautet, dann doch lieber auf Englisch als ästhetisches Ganzes und nicht nur als Ansage, die ballert.“
Alle drei, Christiane Rösinger, Andreas Spechtl und Jens Friebe, haben neben Platten auch Bücher veröffentlicht. Er selbst sehe sich nicht als Sänger, sagt Spechtl, ihn interessierten mehr die Konzepte und Texte hinter dem Gesang. („Dein Talent ist, Texte so zu singen, als seien sie sehr bedeutsam!“, wirft Jens Friebe ein.) Ganz anders als Christiane Rösinger. „Singen ist vielen Leuten peinlich, für mich aber ein Naturzustand – ich singe auch auf der Straße“, sagt die Musikerin, während Jens Friebe witzelt, er wisse nicht einmal, ob er als Zuhörer seine eigenen Lieder mögen würde.
Damit endlich die Utopie ins Spiel gebracht wird, fragt Conrad, ob Ausgehen für die drei eine utopische Handlung sei. Jens Friebe bezieht die Frage weniger aufs Feiern gehen denn auf Aus-dem-Haus-gehen. „Ausgehen ist Kommunikation“, sagt er. „Wichtig ist, andere Stimmen zu hören, die nicht aus dem eigenen, eng gesteckten Rahmen stammen.“ Nicht immer so einfach. Und noch schwieriger wird das Ausgehen im Sinne von Kneipengängen, wie Rösinger weiß. „Ü50 findet man wenige, die mitgehen, selbst bei den Dreißigjährigen ist das schon schwierig.“ Prompt beschwert sich Friebe: „Du fragst mich so selten!“ Er zeigt Verständnis dafür, dass jüngere Generationen weniger dem Vergnügen frönen. „Die Jungen versuchen, den Klimawandel zu verhindern, was verständlich ist: Sie achten erstmal darauf, dass die Welt bleibt.“ Mit leicht sarkastischen Seitenhieben trauert Christiane Rösinger den wilden Zeiten nach. „Wir Musiker sind Trinkfreunde und Hedonisten“, konstatiert sie. „Diese Lebensfreude gibt es in anderen Zirkeln nicht dermaßen. Da wird ein Plenum über Mietpreise gehalten, und dann gehen alle nach Hause.“
Damit liefert sie das Stichwort zur letzten Frage: Mietpreise, Gentrifizierung. „Berlin verändert sich so schnell“, sagt Josepha Conrad, „allein in den letzten drei Jahren ist es eine andere Stadt geworden.“ Die Texte der drei seien da wie Zeitreisen. Friebe schmunzelt. „Wenn das Hauptgefühl eine Zeitkapsel ist, spricht das nicht für einen bleibenden und ästhetischen Wert des Buches.“ Er gibt zu, dass seine Kolumnen sowohl Ort- als auch Zeitkolorit haben, genau wie die Lieder der drei – allerdings enthielten diese ebenso „ewige Wahrheiten“. „Die besten Stücke strahlen über die Zeit hinaus“, sagt Spechtl und Christiane Rösinger benennt ein konkretes Beispiel: „Nackte Angst“ von Friebe sei noch in 50 Jahren verständlich, „Verzweiflung, Tod, Angst und unerfüllte Liebe sind ja universell“.
Zuletzt geben die Künstler*innen einen Ausblick in ihre persönliche Zukunft. Andreas Spechtls Platte „Strategies“ erscheint im Mai, während Jens Friebe gemeinsam mit dem RambaZamba Theater plant, den „Ring des Nibelungen“ in einer Fünfzig-Minuten-Version umzusetzen (Raunen auf der Bühne und im Publikum). Und Christiane Rösinger wird, ganz passend, im Hebbel am Ufer ein Musical über Wohnen und Mieten mit dem Titel „Stadt unter Einfluss“ aufführen.
Auch für „Texte, Sounds, Diskurse“ geht es weiter, und das schon am 14. Mai. An diesem Tag diskutieren Daniela Dröscher, Dilek Güngör und Matthias Nawrat, musikalisch begleitet von Jan Böttcher, über „The Making of Selbst. Das literarische Ich zwischen Erfindung und Behauptung“. Seien wir gespannt!
Die Bloggerin und Journalistin Isabella Caldart berichtet in 2019 regelmäßig über unsere KOOKread-Veranstaltungen im ACUD-Studio.