KOOKread am 22.10.2019 – ein Bericht von Isabella Caldart

Kunst in Zeiten der Klimakatastrophe

Kaum ein Thema beschäftigt – neben dem Aufstieg der Neuen Rechten – Medien und Gemüter so sehr wie die Klimakatastrophe. Nur wenige Jahre bleiben, sagen Wissenschaftler*innen unisono, um den Point of No Return abzuwenden. Politik und Wissenschaft sind gefragt – aber was hat die Kunst zu bieten? Das erörtern die Autor*innen Daniel Falb, Rudi Nuss und Judith Schalansky sowie die Klangkünstlerin Jana Irmert mit der Moderatorin Daniela Seel bei „Texte, Sounds, Diskurse“.

Den Anfang an diesem Abend mit dem Motto „Fluten. Verschwinden. Die Klimakrise schreiben“ macht Rudi Nuss. Der junge Autor war 2016 open-mike-Preisträger, „lebt im Internet“ und liest einen Text „spekulativen Genres“, wie Daniela Seel es bezeichnet. „Die Realität kommt“ heißt dieser Romanauszug, der vom Zusammenbruch der Sowjetunion, Virtual Reality und subaquatischen Schrottbergen erzählt, „eine merkwürdige Mischung aus Zukunftsvision und Vergangenheit“, fasst Seel den Text zusammen. Die Post-Apokalypse, so Nuss, sei die Gelegenheit, Konzepte auf den Kopf zu stellen und Gesellschaft neu zu denken, ganz „ohne Horror-Turbo-Kapitalismus“. Und fügt hinzu: „Meine Herausforderung ist die immense Hoffnungslosigkeit, gegen die ich ankämpfen muss. Es fühlt sich an, als würde ich versuchen, alle Schrecken zu vereinigen.“

Etwas weniger hoffnungslos ist Daniel Falb, von dem es gleich zwei druckfrische Bücher gibt, aus denen er vorliest: „Geospekulationen. Metaphysik für die Erde im Anthropozän“, eine theoretisch-essayistische Abhandlung, und „Orchidee und Technofossil“ mit vier Langgedichten. Den theoretischen und den lyrischen Texte, sagt Falb im anschließenden Gespräch mit Daniela Seel, lägen dieselben Ausgangspunkte und Recherchen zugrunde, sie gingen im theoretischen Teil aber noch weiter. Dann erläutert er seinen literarischen Impuls, der darin bestünde, nicht den christlichen, sondern einen geologischen/philosophischen Kalender zu verwenden, auch wenn das „manieristisch“ sei. „Die übliche Zeitrechnung ist ein Mittel, um die Situation zu verschleiern“, sagt Falb, da man tiefer in die Vergangenheit blicken müsse, weg von anthropozentrischen und eurozentrischen Sichtweisen . Sein Ansatz sei eine ernste Auseinandersetzung, um sich dann darüber lustig zu machen und den Gedanken der Nachhaltigkeit nicht durch Ökologie, sondern ein „Holozän-Museum“ abzubilden.

Als dritte Autorin betritt Judith Schalanskydie Bühne, die im vergangenen Jahr ihr hochgelobtes Buch „Verzeichnis einiger Verluste“ veröffentlicht hatte und außerdem Herausgeberin der „Naturkunden“-Reihe von Matthes & Seitz ist. Vor der Textstelle, die sie liest, „warnt“ sie vorher – nicht ganz zu Unrecht, sie ist nämlich wirklich lang. Schalanksys „Verzeichnis“ dokumentiert Dinge, die verschwunden sind, ob ausgestorbene Tierarten oder abgerissene Gebäude. Ein „Spannungsverhältnis“ sei das, in dem man sich einerseits „ans Verschwinden gewöhnt und trotzdem bewahrt, nicht aufgibt“. Romane, die von drei Generationen im 20. Jahrhundert erzählen, interessieren sie nicht, so die Autorin. „Ich finde es toll, die Wissenschaft sprechen zu lassen. Jahrelang war die Natur nur in der Naturwissenschaft, als ob literarische Sprache irrelevant sei.“ Dann ärgert sich Schalanksy mit Verweis auf Wim Wenders, der die Laudatio auf Friedenspreisträger Sebastião Salgado hielt, über die „religiöse Sprache“, die in diesem Diskurs teilweise verwendet werde. „Ich ertrage Bilder wie ‚das Ruder umreißen‘ nicht.“ Die Frage sei doch: „Wie können wir über die Apokalypse reden, ohne Heldenepen zu schreiben?“

Komponistin und Klangkünstlerin Jana Irmertpräsentiert vor und nach der Pause sphärische, elektronische Stücke ihrer Field Recordings. „Konkret, sinnlich und super abstrakt“, empfindet Daniela Seel dieses Musikerlebnis und fragt nach dem unterschiedlichen Zugang von Musik im Vergleich zur Schrift. „Ein offener Ton, ein Geräusch ist weniger angreifbar für eine einzige Interpretation“, sagt Irmert. „Das suche ich.“ Das zeigt auch die Ambivalenz ihrer Sounds: Sie klingen nach Naturaufnahmen, sind aber mit einem Noise Generator erzeugt. „Ich habe die Hoffnung, dass sich etwas öffnet, wenn man ruhig sitzt und zuhört, dass man Verbindung zu sich und zu anderen aufnimmt. Sitzen und hören macht für mich Sinn.“

Die anschließende Diskussion mit Judith Schalansky, Rudi Nuss, Daniel Falb und Jana Irmert, moderiert von Daniela Seel, bleibt auf einem eher abstrakten und dadurch vagen Niveau. Während Schalansky scherzt, auch hässliche Tiere dürften die Klimakatastrophe überleben, lernt das Publikum von Nuss das Wissen, dass 97 Prozent der Lebensformen keine Wirbelsäule haben. Seel interessiert sich für den Versuch, produktiv mit der Klimakrise umzugehen. „Wie ist das Verhältnis von Recherche zu dem, was man damit tut?“ Nuss verweist auf Ursula Le Guins „Carrier Bag Theory of Fiction”, laut dem die nützlichere Erfindung der Menschheit nicht das Speer, sondern die Tasche gewesen sei – ein Verzeichnis also. „Typisch Menschen“, sagt Schalanksy, „sie müssen alles aufzählen und vermessen“. Bei ihrem Buch „Verzeichnis einiger Verluste“ habe sie das Moment interessiert, in dem aus einer Aufzählung eine Erzählung wird. „In unserem halbwegs linearem Schriftbild haben wir immer eine Chronologie. Es ist Teil des Problems zu denken, eine Geschichte habe ein Anfang und ein Ende“, hält sie fest. „Niedlich: Wir denken, Entwicklung sei etwas Gutes.“ Irmert zitiert Forscher*innen, laut der das einzige, was von der Menschheit am Ende übrigbliebe, eine Schicht „so dünn wie Zigarettenpapier“ wäre. „Ich finde diesen Gedanken schön.“

Auch für das Verhältnis zum Aktionismus interessiert sich Daniela Seel. „Ich gehe demonstrieren, aber das kann man nicht als aktivistisch betrachten“, sagt Rudi Nuss und steckt damit den Rahmen. Daniel Falb wiederum hat die Hoffnung, die „Trägheit von Institutionen kann uns nach 30 Jahren Neoliberalismus retten“, und findet, einen „Space“ mit Texten zu öffnen „grenzt für mich an Aktivismus“. Das sei die Gretchenfrage, meint Judith Schalanksy: „Protestieren ist die einfache Antwort – aber wie lautet die schwierige?“ Und ergänzt trocken, sie würde eine Weltreligion gründen. Dazu fällt Nuss ein, dass die auch von vielen Linken kritisierte Gruppe Extinction Rebellion mit religiöser Ästhetik arbeite. Falb hingegen macht atheistische Strukturen aus, an etwas zu arbeiten, das eintritt, wenn man nicht mehr da ist: „Die Gestaltung der Zukunft ist transgenerational. Das ist eine Religion, die auf Wissenschaft beruht und die Gegenwärtigkeit aufhebt.“ Eine Utopie, wie Schalansky findet, und bemerkt selbstkritisch: „Ich habe aus Lebenserhaltung Sehnsucht nach Doktrinen, nach einem Plan, weswegen ich mir selbst misstraue.“

Und wie, fragt Seel, könne man der Falle der Individualität entgehen? Eco consumerism, also bewusste, ökologische Konsumentscheidungen, seien nicht falsch, findet Falb, aber eher „eine Sache der höheren Mittelschicht in der westlichen Gesellschaft“. „Bis es soweit ist, dass alle im LPG einkaufen, ist die Erde schon explodiert. Wir sparen uns durch Licht ausmachen zu Tode, im Gesamtbudget macht das aber keinen Unterschied.“ Falb ist es, der bei den vielen abstrakten Aussagen erstmals einen konkreten, wenn auch utopischen Vorschlag hat: „Millionäre müssen für die globale Ökonomie enteignet werden. Das 1 Prozent und Klimafragen hängen eng zusammen. Allein das Geld, das durch Steuerflucht entgeht, wäre schon ein gutes Investment.“ Und neue Technologien?, fragt Schalansky. Falb ist sicher: „Hätte man im 19. Jahrhundert eine andere Erfindung gemacht, die nicht auf fossiler Energie beruht, hätten wir keine Klimakrise.“ Ob’s stimmt, wer weiß. 

Am 12. November geht es weiter mit „Texte, Sounds, Diskurse“, und zum ersten Mal auf Englisch: „Big Witch Energy – Crossroads of Intersectional Feminism“ lautet das Thema. Bis dahin!

Die Bloggerin und Journalistin Isabella Caldart berichtet in 2019 regelmäßig über unsere KOOKread-Veranstaltungen im ACUD-Studio.