KOOKread – 18.02.2020 – ein Bericht von Lara Sielmann

Trigger mich, du Identitätsmonster

Unter dem poppigen Titel „Trigger mich, du Identitätsmonster“ lud Kurator und Moderator des Abends Tom Bresemann zu der ersten KOOread-Veranstaltung im neuen Jahr ein. Er hatte einen performativen, diskurslastigen wie musikalischen Abend gestaltet und versuchte mit seinen Gästen Sam Albatros, Eva Berendsen, Katia Sophia Ditzler und Tellavision Antworten auf Fragen nach Identität und Literatur zu finden.

Als es gegen 20:20 Uhr im Acud Club in Berlin-Mitte los ging mit „Trigger mich, du Identitätsmonster“ waren alle Stühle besetzt. Mit Blick auf die Gäste wurde schnell klar, der Lyriker und Kurator des Abends Tom Bresemann möchte das Thema Identitätspolitik von verschiedenen Seiten beleuchten. Eingeladen hatte er den griechischen, queeren Lyriker und Performancekünstler Sam Albatros, die Soziologin Eva Berendsen, die Berliner Musikerin Fee Kürten von Tellavision und die interdisziplinär arbeitende Künstlerin Katia Sophia Ditzler. Alle vier beschäftigen sich, wenn auch ganz unterschiedlich, innerhalb ihrer Kunst und Disziplin mit dem Thema Identität. Zunächst traten die vier hintereinander auf, um abschließend in einer Stuhlrunde über Identität, Ästhetik und Literatur zu diskutieren.

„Bitte alle aufstehen“, sagte Katia Sophia Ditzler auf der Bühne stehend mit einem Plastikdiadem im Haar. Das Licht ging aus und die Projektion an: „Sommer hinter Glas“ stand dort. Während die Performerin begann live langsame Bewegungen zu machen und sich kurz darauf durch die Stuhlreihen zu bewegen, war sie tanzend im Hintergrund in der Videoinstallation in einer Berglandschaft zu sehen. Dann eine Nahaufnahme. Mal mutete sie wie eine fernöstliche Göttin an, dann erinnerte sie an eine Kriegerin, am Ende vollzog sie eine Art Exekution an einem männlichen Performer, der neben ihr kniete. Untermalt wurde das Video von Klangcollagen und poetisch aufgeladenen Texten, richtig gut verstehen konnte man diese nicht, dafür war die Audioqualität zu schwach. Sie wolle mit ihrer Arbeit zeigen wie Ästhetik und Propaganda zusammenhängen, vor allem in der ehemaligen Sowjetunion, erzählte Katja Sophia Ditzler, deren Familie teils aus Deutschland, teils aus Russland kommt, in der Abschlussrunde. 

Als Zweite hielt die Soziologin Eva Berendsen einen Vortrag zu dem Sammelband „Trigger Warnung. Identitätspolitik. Zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen“, das sie letztes Jahr im Verbrecher Verlag mitherausgebracht hat. Der Text setzt sich dezidiert kritisch mit der linken Identitätspolitik auseinander und beleuchtet die Schwierigkeiten innerhalb linker Politik auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, und das aus verschiedenen Gründen. „Es gibt eine interessante Allianz aus Leuten, die sich ansonsten beim besten Willen überhaupt nicht leiden können, aber wenn es um Identitätspolitik geht, da spricht man plötzlich die gleiche Sprache, da teilt man den gleichen doofen Humor,“ begann Eva Berendsen und verdeutlichte dann wie Linke und Rechtspopulist*innen sich beim Thema Identitätspolitik auch sehr nahe stehen können. Auch den öffentlichen Diskurs ging sie kritisch an „In Mainstreamdebatten wird die Perspektive von Betroffenen oft noch sträflich vernachlässigt, bei Anne Will z.B. geht es um das Thema rechte Gewalt und es sitzen tatsächlich nur weiße Leute in der Runde. In innerlinken Debatten wiederum avanciert die Betroffenenperspektive oft genug zum einzigen Maßstab für politisches Handeln.“ Am Ende ging sie auf die Bedeutung von Allianzen ein, die über den eigenen Erlebnishorizont hinausreichen müssen, „Fatalistische Identitätspolitik macht Schluss mit Politik. Weil in Abrede gestellt wird, dass man von eigenen Interessen und eigenen Erfahrungen ja durchaus auch abstrahieren kann. Dass es so etwas gibt wie Solidarität jenseits des eigenen Erfahrungsbackgrounds“ und forderte: „Schluss mit dem Gejammer im Weißen Westen – wir  müssen uns schmutzig machen.“

Vor der Pause trat Fee Kürten von Tellavision auf und spielte Songs des aktuellen Albums „Add Land“ – eine Mischungs aus Synthie-Pop, Krautrock und Techno. „Das Private ist für mich hochpolitisch und die Liebe revolutionär“, sagte sie eingangs. Mal wirkte sie trotzig-aufbegehrend, dann ging sie ganz auf in ihren Beats und Loops, bediente lässig ihren Equipement-Park, bewegte sich fließend, geradezu in sich selbst versunken, während ihre Musik immer größere Kreise zog. Da machte es auch nichts, dass ihre Texte nur fragmentarisch zu verstehen waren. Nach der Pause betrat Sam Albatros in enger Lederhose und schwarzer Kaninchenmaske die Bühne, setzte sich vor die Leinwand und verschmolz mit der Videoinstallation, in der er Fragen, auch anhand seiner eigenen Biografie, sexueller Identität nachging. Der Künstler betreibt das Literaturprojekt queerpoets.com, in dem er dezidiert queere Literatur von verschiedenen Autor*innen vorstellt und sie ins Griechische übersetzt. „Literatur ist für mich erstmal kein Werkzeug für politische Umstöße, und nicht unbedingt die Kunst für alle, dafür ist Literatur zu elitär“, sagte er in der anschließenden Diskussionsrunde, „Außerdem kommt es immer auch auf die Inhalte an, die literarisch verhandelt werden.“ Die anderen drei Gäste stimmten ihn zu. Die Frage nach Ästhetik und Politik, die Tom Bresemann umtrieb, beantwortete Sam Albatros ebenfalls kritisch: Ästhetik sei Ausdruck der weißen Oberschicht, die gelernt hätten, dass griechische Staturen der Inbegriff von Schönheit sei und dagegen bunte und diverse Kunst nicht. 

Trotz sehr interessanter Wortbeiträge – so richtig ins Gespräch kamen die vier Künstler*innen mit dem Kurator nicht. Vielleicht weil die Fragen zu literaturlastig waren für einen Abend, der die Literatur nur streifte. Auch waren die  einzelnen Auftritte jeweils so stark und unterschiedlich, dass kurze Gespräche nach den Performances gut getan hätten, um einzelne Positionen und künstlerische Auseinandersetzung mit diesem sehr großen wie allgegenwärtigen Thema Identitätspolitik greifbarer zu machen. Aber es sind auch diese kleinen Feuerwerke an interdisziplinären Arbeiten, die eine*n nicht so schnell loslassen werden und über den Abend hinaus noch nachwirken.

Lara Sielmann arbeitet als freie Journalistin (u.a. Tagesspiegel, FANN Magazin, HKW) und Moderatorin. Sie ist Teil des Labels für junge Literaturvermittlung „Kabeljau&Dorsch“ und ist Vorstandsvorsitzende des Vereins „Unabhängige Lesereihen“. Im Herbst 2019 leitete sie „ULF – Unabhängige Lesereihen Festival“ mit. Sie lebt in Berlin.